Zum Inhalt springen Zurück zum Seitenanfang
Yazan Albkairat HSG Ortenau Süd

Yazan Albkairat: Die Handball-Leidenschaft als Integrations-Beschleuniger



„Lahr ist meine neue Heimat geworden, meine Handball-Kollegen der HSG Ortenau Süd sind für mich wie eine große Familie.“

In Yazan Albkairats (25) Worten schwingt große Dankbarkeit mit. Dankbarkeit für die herzliche Aufnahme in Deutschland und die Chance, sich hier eine sichere Zukunft aufzubauen.

Rückblende in das vergangene Jahrzehnt: In seiner Heimat Syrien studiert Yazan englische Literatur, arbeitet fleißig und hochmotiviert für seine berufliche Perspektive. Seine Leidenschaft in der Freizeit gehört dem Handball, er wird sogar in die A-Jugend-Landesauswahl berufen. „Leider zählte ich dort nur zwei Monate zum Kader. Der anhaltende Krieg und die 700 Kilometer Entfernung von meinem Wohnort Daraa nach Latakia, wo die Lehrgänge stattfanden, waren letztlich zu große Hindernisse für mich“, berichtet Yazan.

Seine Mutter und die beiden Schwestern flüchten 2011 nach Jordanien, Yazan und sein Vater bleiben zunächst weiter in der Heimat – des Berufes wegen. Es ist der 3. Oktober 2015, als sich Yazans Leben grundlegend ändert. In Daraa, wo die Aufstände gegen das Assad-Regime 2011 ihre Anfänge nahmen, tobt unerbittlich der Krieg. Der damals 19-Jährige fasst den Entschluss, seine völlig zerstörte Heimat Syrien zu verlassen – ein Aufbruch in eine ungewisse Zukunft. Zusammen mit einem Studienfreund und nur mit dem Notwendigsten ausgerüstet macht er sich auf die Flucht. Drei Monate geht es bei bitterer Kälte, Schnee und Eis über die Türkei, Griechenland, die Balkan-Route und Österreich in Richtung Deutschland. „Wir waren über weite Strecken zu Fuß unterwegs, mit dem Bus oder dem Zug.“ Bei all der unvorstellbaren Strapazen und Bedingungen sind es die kleinen Lichtblicke und erfreulichen Momente, die Yazan ermutigen, nicht aufzugeben. „Ich weiß noch genau, wie wir meinen Geburtstag unterwegs ´gefeiert´ haben. Viele Familien haben uns etwas zu Essen und Trinken gegeben oder uns vor der Polizei versteckt.“

In Passau betritt Yazan im Januar 2016 deutschen Boden, hier trennen sich jedoch auch die Wege von ihm und seinem Freund. „Die Polizei hat mich und viele andere dann nach Nordhorn begleitet, wo eine Erstaufnahmeeinrichtung in einer Sporthalle eingerichtet war. Dort haben wir vier Tage geschlafen. Ich habe eine sehr nette Familie kennengelernt. Der Mann war Arzt und hat mich komplett durchgecheckt, um sicherzustellen, dass ich mir auf der Flucht keine Brüche oder Verletzungen zugezogen habe. Sie haben mir Essen und Kleidung besorgt und sich wirklich sehr fürsorglich um mich gekümmert. Dafür bin ich unendlich dankbar. Leider ging alles so schnell, dass ich keine Daten der Familie notieren konnte und somit heute leider keinen Kontakt mehr aufnehmen kann, um nochmals Danke zu sagen.“

Über eine Zwischenstation in Stuttgart gelangt Yazan schließlich nach Lahr. Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des Freundeskreises Flüchtlinge sind seine ersten Ansprechpartner. „Sie haben mir sehr geholfen. Für mich war es der Start in ein komplett neues Leben. Sprache, Ausbildung, Freunde – ich musste alles lernen und neu aufbauen.“ Wer sich mit dem heute 25-Jährigen unterhält, staunt, wie gut er die deutsche Sprache gelernt hat. Es ist sein unermüdlicher Ehrgeiz, der ihn antreibt, in seiner neuen Heimat schnell Fuß zu fassen und sich zu integrieren. „Leider konnte ich aufgrund des Krieges und der Flucht mein Studium der englischen Literatur in Syrien nicht abschließen, ein Semester fehlte mir.“ In Deutschland möchte Yazan zunächst ein Germanistik-Studium beginnen und als Dolmetscher arbeiten, doch es gibt Probleme mit dem BAföG, weshalb er sich umentscheidet. „Ich habe dann eine Ausbildung als Fahrlehrer begonnen. Ende April stehen meine Theorie-Prüfung an der Fahrlehrer-Akademie in Karlsruhe, mündliche Prüfung und Fahrprobe an. Bei bestandener Prüfung gibt es einen Schein als Fahrlehrer-Anwärter und ich darf dann in der Fahrschule arbeiten – zunächst noch unter Beobachtung, bis ich meine Lehrprobe absolviert habe.“

Dass seine Integration so schnell und vorbildlich voran schreitet, ist nicht zuletzt Yazans großer Leidenschaft Handball zu verdanken. „Der Freundeskreis Flüchtlinge hat mich gefragt, welche Hobbies ich habe und daraufhin den Kontakt zur HSG Ortenau Süd hergestellt.“ Seitens der Handball-Spielgemeinschaft aus TV Sulz, TV Seelbach und GSV Mietersheim ist es Daniel Kindle, der Yazan ins Training einlädt und mit dem Verein vertraut macht. „Er war für mich in dieser Phase wie ein Vater. Ich kann ihm gar nicht häufig genug Danke sagen für all das, was er für mich getan hat.“ Seine Mannschaftskameraden der 3. Herrenmannschaft nehmen ihren neuen Mitspieler ebenso herzlich im Team auf. „Ich habe mich von Anfang an richtig wohl gefühlt. Die Jungs haben mich in allen Bereichen super unterstützt. Kultur, Vereinsleben, Gesetze – und auch beim Dialekt, was anfangs gar nicht so einfach war“, lacht Yazan. Trainer Marco Kloos findet durchweg lobende Worte für seinen Mitspieler: „Mit seiner offenen und herzlichen Art hat sich Yazan sofort super in unsere Gemeinschaft eingefügt. Ich schätze an ihm vor allem auch sein Engagement und seine Disziplin. Auch außerhalb des Handballfeldes ist Yazan immer äußerst hilfsbereit – ein Teamplayer, wie man sich ihn für seine Mannschaft wünscht.“

Seit dieser Saison engagiert sich Yazan zusammen mit Felix Haag auch als Trainer der HSG-D-Jugend. „Damit möchte ich dem Verein, der mich so herzlich aufgenommen hat, etwas zurückgeben.“ Der Lockdown jedoch verhindert ein regelmäßiges Zusammentreffen, Trainings- und Spielbetrieb ruhen seit Ende Oktober. „Der persönliche Kontakt und die Gemeinschaft fehlen mir momentan schon sehr. Wir schalten uns deshalb regelmäßig virtuell zusammen.“

Mit seiner Familie steht er ebenfalls über die sozialen Netzwerke in Kontakt. „Wir sind drei bis vier Mal pro Woche im Austausch via Videocall oder WhatsApp. Auch wenn ich sie natürlich alle sehr vermisse, bereue ich meine Entscheidung nicht. Ich habe hier eine neue Chance bekommen, für die ich überaus dankbar bin.“

Die Geschichte von Yazan Albkairat – ein Musterbeispiel für gelungene Integrationsarbeit.